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Es droht Strommangel

Das traditionelle Politgespräch der SVP Lengnau lockte viele Zuhörer ins Haus Doppeltür. Als Zugpferd entpuppte sich für einmal nicht die Vorschau auf die Gemeindeversammlung, sondern das Referat von Hansjörg Knecht zum Thema Stromversorgung. Der Aargauer Ständerat, u.a. Mitglied der Energiekommission der kleinen Kammer, war eigens aus der laufenden Session in Bern angereist. Seine Ausführungen, nachfolgend eine Zusammenfassung, illustrierte er mit eindrücklichen Grafiken vom zuständigen Bundesamt BFE (siehe PDF auf: www.svplengnau.ch).


Energiestrategie – Stand der Umsetzung

Als Folge des Unfalls im japanischen Kernkraftwerk Fukushima im Jahre 2011 wurde in der Schweiz eine neue Energiepolitik beschlossen. Das Ziel der damals aufgegleisten Energiestrategie 2050 ist der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie. Die über die Zeit wegfallende Produktion soll durch den Zubau von erneuerbaren Energien und Einsparungen beim Verbrauch ersetzt werden.

Auf den ersten Blick scheint die Umsetzung der Energiestrategie auf gutem Weg zu sein. Die erneuerbaren Energien haben zumindest die für 2020 auf tiefem Niveau definierten Zielvorgaben erreicht bzw. knapp übertroffen. Der Zubau findet vorab bei der subventionierten Photovoltaik statt. Die Erzeugung aus Wasserkraft übertraf das gesteckte Ziel. Bei näherer Betrachtung stellt man aber fest, dass sie kaum ausgebaut wurde und die Produktion vorwiegend aus den bereits bestehenden grossen Anlagen stammt. Die Windkraft bleibt vernachlässigbar. Der grösste Teil der sonstigen Erneuerbaren stammt aus Kehrrichtverbrennungsanlagen, deren Stromproduktion zu 50% als erneuerbar gilt. Nach wie vor leistet die Kernkraft einen entscheidenden Beitrag an die Stromversorgung, während das Potenzial der Biomasse beschränkt ist und die Geothermie bisher nichts beiträgt.


Die Herausforderungen bleiben massiv

Wegen der Abhängigkeit aber auch wegen der Klimapolitik soll von der Nutzung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdgas oder Öl ebenfalls auf erneuerbare Energien umgestiegen werden. Die Empa hat daher eine Studie vorgelegt, die von einem rund 25% höheren Strombedarf im Jahr 2050 ausgeht. Auch bei der Wasserkraft zeichnen sich infolge verschärfter Umweltschutz-bestimmungen empfindliche Produktionsverluste ab, im Extremfall bis 10%! Beides wurde bei der Energiestrategie unzureichend berücksichtigt! Gemäss einer einfachen Überschlagsrechnung müssen bis 2050 rund 40 TWh Produktion zugebaut werden, um die Versorgung sicherzustellen. Und das dürfte ein eher konservativer Wert sein. Die Axpo geht davon aus, dass es 50 TWh sind, andere Stakeholder sprechen gar von 60 TWh. Die Herausforderungen sind also massiv grösser als ursprünglich angenommen, insbesondere im Winterhalbjahr.


Was tut der Bund?

Inzwischen hat der Bund die Grundlagen aktualisiert und die Energieperspektiven 2050+ veröffentlicht. Sie berücksichtigt den stärkeren Verbrauchsanstieg, geringe Einbussen bei der Wasserkraft und einen deutlich höheren Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der Photovoltaik. Dennoch werden ab ca. 2035 Importe im Umfang von rund 15 TWh (entspricht knapp einem Viertel der heutigen gesamten Produktion) notwendig, da die Photovoltaik diese Lücke nicht füllen kann und gemäss Volksabstimmung das letzte Kernkraftwerk dann vom Netz gehen soll. Damit fallen ausgerechnet im Winterhalbjahr wichtige Produktionskapazitäten weg. Diese Situation würde sich etwas entspannen, wenn die bestehenden Kernkraftwerke 60 Jahre laufen. Aufgrund der aktualisierten Energieperspektiven 2050+ berät momentan die Energiekommission des Ständerates die Anpassungen. Ein wesentliches Element dabei sind die Subventionen für Investitionen in erneuerbaren Energien im Inland und in die Wasserkraft. Zudem dauern die Bewilligungsverfahren in der Schweiz zu lange und sind zu komplex. Sie verzögern Projekte bis Investoren das Interesse verlieren oder Projekte unrentabel werden. Verfahren sollen deshalb gestrafft und die Einsprachemöglichkeiten begrenzt werden. Die Herausforderung heisst Güterabwägung zwischen Nutzungs- und Schutzinteressen. Auch Verbote und Einschränkungen einzelner Energieträger aus ideologischen Gründen sind fehl am Platz.


Es geht um die Versorgungssicherheit

Zudem zeigen die aktuellen Entwicklungen in unserem Verhältnis zur EU, dass wir uns auf Importe nicht verlassen können. Nach dem Abbruch der Verhandlungen über ein Stromabkommen sowie dem Ausbruch des Ukrainekonfliktes ist eine regelrechte Hektik im Bundesamt für Energie ausgebrochen. Rechnete man damit, dass Ende des Winters 2025 der Bedarf der Schweiz während 47 Stunden nicht gedeckt werden kann, werden bereits für den kommenden Winter Notmassnahmen auf dem Verordnungswege geplant. Dabei geht es einerseits um eine Energiereserve aus Wasserkraft und anderseits um den Betrieb von Reserve-Gaskraftwerken.


Bekenntnis zur Realität

Leider zeigt sich immer mehr, dass der Bevölkerung vom Bundesrat und der Parlamentsmehrheit vor fünf Jahren bei der Volksabstimmung über die Energiestrategie unrealistische Annahmen präsentiert wurden. Und ob die jetzt wieder mit den Energieperspektiven überarbeiteten Grundlagen überhaupt aufgehen werden, ist ebenfalls mehr als fraglich.

Klar ist jedoch: Damit die Versorgungssicherheit sichergestellt werden kann, braucht es mehr Produktion im Winter. Und mit den Kernkraftwerken würden ausgerechnet im Winterhalbjahr wichtige Produktionskapazitäten wegfallen. Photovoltaik wird das – solange sie hauptsächlich kleinteilig im Siedlungsgebiet ausgebaut wird, nicht ersetzen können. Weiter muss sich noch zeigen, ob die Verfahren beschleunigt und die Einsprachemöglichkeiten bei Projekten in erneuerbare Energien überhaupt eingeschränkt werden können. Dazu stellt noch eine im Februar dieses Jahres publizierte Empa-Studie fest, dass die Energiestrategie nicht aufgeht. Es wurden drei verschiedene Szenarien durchgerechnet, in denen die Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Der Leiter des verantwortlichen Forschungsinstituts lässt sich zitieren mit: «Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass wir unseren gesamten Energiebedarf mit im Inland erzeugter, erneuerbarer Energie decken können».

Wir können also heute schon davon ausgehen, dass die Laufzeiten der bestehenden klimafreundlichen Kernkraftwerke verlängert werden müssen. Und auch an neuen Generationen von KKW sollte intensiv geforscht werden.


Das Thema «Sichere Energieversorgung» mobilisiert die Bevölkerung. Beim Referat von Ständerat Hansjörg Knecht waren im Haus Doppeltür sämtliche Plätze besetzt.




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